Im Gegensatz zu Europa, wo Weihnachten besinnlich gefeiert wird, ist in England das Weihnachtsfest vor allem fröhlich. Als ich zum ersten Mal mit meinem Mann Weihnachten in London verbrachte, war das für mich wie eine Erlösung. Es war lustig – keine so ernsthafte und feierliche Angelegenheit, wie ich sie bis anhin kannte. Wir dekorierten unser Hotelzimmer mit Flitter und stellten einen kleinen Weihnachtsbaum auf. Am Heiligabend gingen wir indisch essen, und am Weihnachtsmorgen nahmen wir das Taxi (zum doppelten Preis, denn am Weihnachtstag stehen in England die öffentlichen Verkehrsmittel still) zum Familienbesuch.
Dort wurde schon am frühen Morgen gekocht, damit der Truthahn auch rechtzeitig, nämlich am Nachmittag, auf dem Tisch stand. Das ganze Haus war über und über dekoriert mit Girlanden, Weihnachtskarten und Ornamenten aller Art. Auch Schokolade in allen möglichen Varianten stand in kleinen Schälchen und Bonbonnieren bereit. Ebenso kleine Mince Pies und süsse Getränke wie Baileys. Man schaute sich nebenbei die Ansprache der Queen im Fernsehen an. Damals war es trendy, sich danach die deprimierende Soap «Eastenders» zu Gemüte zu führen, bei der in jedem Christmas-Special jemand umgebracht oder verlassen wurde. Weihnachten ist in England definitiv anders als bei uns!
Cracker und Hüte
Grundsätzlich feiert man am Weihnachtsmorgen: Im Pyjama gehts ins Wohnzimmer hinunter. Dort ist der Kamin geschmückt und mit Weihnachtsstrümpfen versehen. Auch im Wohnzimmer, meistens im Erker, der sich auf die Strasse hinauslehnt, steht der grosse Weihnachtsbaum. So ist er für alle sichtbar. Über Nacht kommt der Weihnachtsmann den Kamin hinunter und füllt die Strümpfe mit kleinen Geschenken und Süssem. Solche «Stockingfillers» werden in jedem Geschäft angeboten. Er legt auch die Geschenke unter den Baum.
Mittags gibt es dann den gefüllten Truthahn, der mit Roast Potatoes, Rosenkohl, Karotten, Parsnips und kleinen, mit Speck umwickelten Würstchen serviert wird. Auf jedem Teller liegt ein Weihnachtscracker, den man gemeinsam zieht, bis er knallt und die kleinen Überraschungen freigibt. Dazu gehören auch die lustigen Hüte, welche dann alle aufsetzen – die Engländer lieben eben ihre Hüte! Und manche tragen auch Xmas-Pullover mit Rentiermotiven oder Schneesternen, mit Vorliebe in Rot, Grün und Weiss!
Eine andere wichtige Weihnachtstradition ist das Schreiben, Senden und das persönliche Übergeben von Weihnachtskarten. Alle Karten werden aufgestellt oder an Bändern befestigt und aufgehängt. Die Dekoration ist wichtig und allgegenwärtig. Nicht nur ein Weihnachtsbaum gehört dazu, sondern haufenweise Girlanden, Lämpchen und allerlei Flitter.
Mein «Zuhause» in London ist das Quartier Marylebone. Hier haben wir vor vielen Jahren geheiratet, und wir wohnen meist hier, wenn wir in London sind. Die kleinen, hübschen Läden und die wunderschöne Marylebone Highstreet haben sich zwar über die Jahre verändert, aber dabei ihren Charakter behalten. Lust auf Weihnachtsshopping macht der Eckshop der Keramikerin Emma Bridgewater. Wir trinken jeden Morgen unseren starken, süssen Schwarztee aus ihren Mugs mit Union-Jack-Muster – ein Souvenir, das ich auch schon oft verschenkt habe. (Sehen Sie auf meinem Instagram-Account). Ein anderes Geschäft, in das ich immer reinschaue und das sich jede Weihnachten zauberhaft einkleidet, ist das Mercerie-Geschäft VV Rouleaux. Letztes Jahr zeigte die Fassade Pompons, dieses Jahr Satinbänder. Stellen Sie sich vor, ein ganzes Geschäft voller Bänder, Kordeln, Quasten und Zierrat!
Mein erster Stopp in Marylebone ist immer der Buchladen Daunt Books. Er bleibt mir auch daheim in der Schweiz stets präsent, denn er ist für mich der allerschönste Buchladen, den es gibt. Er sieht wirklich aus wie ein Buchladen, er ist alt und voller Geheimnisse, die es zu entdecken gibt. Langgezogen mit Glasdach, hat er neben dem Parterre eine Galerie und ein Untergeschoss mit Bücherregalen. Seine eigentliche Geschichte beginnt aber erst in den 90er-Jahren. Damals hat der Banker James Daunt das uralte Antiquariat Francis Edwards gekauft und darin Daunt Books eröffnet. Mittlerweile gibt es mehrere Filialen in anderen Quartieren. Das Geschäft ist ein Buchladen für Reisende.
Man reist sozusagen von Land zu Land. Wer aber denkt, dass man da bloss Reisebücher findet, irrt. Denn auf jedem Länderregal locken Bücher von Autoren aus diesem Land, solche, die in dem jeweiligen Land geschrieben wurden oder die eine Geschichte aus diesem Land erzählen. Im Schweizer Regal sind Perlen zu finden wie das «Hotel du Lac» von Anita Brookner, «The Theoretical Foot» von M.F.K. Fisher und natürlich Klassiker wie «Frankenstein» von Mary Shelley oder Thomas Manns «Zauberberg». Auf den Büchern findet man Klebeetiketten, auch gibt es keine Sonderangebote oder Schnäppchen, dafür viele Lesungen und kompetente und freundliche Buchhändlerinnen und -händler.
Bücher kann man nie genug haben
Ich kaufe mir für die Weihnachtszeit jeweils einige Bücher, kreuz und quer durchs Sortiment, als erstes Weihnachtsgeschenk an mich. Da ich Miss C. vermisse, die mit meinem Mann zu Hause geblieben ist, sind zwei Hundebücher dabei: Ein kleiner, charmanter und hübsch gestalteter Sammelband mit Essays von Vita Sackville West, «Faces – Profiles of Dogs», und «How to Teach Philosophy to my Dog» vom Autor und Philosophen Anthony McGowan. Letzteres hilft mir mit seiner humorvollen, verschrobenen Art gerade sehr dabei, mit meinem momentan sehr langsamen Alltagsleben – mit dem einen Arm im Gips –zurechtzukommen!
Dabei sind noch ein kitschiger Weihnachtskrimi aus den 30er-Jahren, eine Biografie der Schriftstellerin E. Nesbit, die das erste Abenteuerbuch für Kinder, «The Railway Children», geschrieben hat und offenbar ein unkonventionelles Bohemialeben führte, und eine kleine Geschichte über die glamourösen House Parties in den englischen Countryhäusern. Ich tröste mich dann mit einem Glas Champagner, wenn mein Alltag nicht ganz so glamourös ist wie in den Büchern.
Glamourös und chic ist aber Marylebone. So hat es dort auch ein sehr luxuriöses Hotel, The Chiltern Firehouse, welches aber über meinem Budget ist. Ich genoss bisher bloss einmal einen Sommerlunch im Garten und einen Brunch im Restaurant. Beides war fantastisch und natürlich superstylish! Letzteres aber auf eine entspannte Art, denn die Firestation ist eine Luxusversion des Alltäglichen. An der gleichen Strasse findet man auch solch renommierte Modeshops wie Casely-Hayford oder Bella Freud.
Seit es mein früheres Lieblingscafé, das traditionell, typisch englisch und auch ein bisschen verstaubt war, nicht mehr gibt, geniesse ich eine stilvolle Version der angelsächsischen Frühstücksfreuden im Ivy Café.
Das Ivy Café ist eine kleine Schwester des Ivy Restaurant. Dieses war in der Zeit, als mein Mann und ich uns kennen lernten, ein absolut angesagtes Restaurant, vor dem immer Paparazzi standen. Es war aber auch ein bisschen so, wie bei uns die Kronenhalle: elegant, traditionell, aber bodenständig. Als Gast wurde man immer mit der gleichen liebevollen Freundlichkeit willkommen geheissen, egal ob man nun ein Star war oder, wie wir, ganz Unbekannte mit nicht viel Geld, die sich einmal im Jahr (jeweils am Geburtstag) ein Dinner dort leisteten.
Heute tauchen auch in London die Stars oder Celebrities nicht mehr so selbstverständlich im normalen Alltag auf. Das Café aber ist hübsch, man isst gut, es ist sehr lebendig und freundlich. Und natürlich auch wunderschön weihnächtlich dekoriert.
Zu Fuss erreicht man von Marylebone die grossen Shopping-Highstreets wie die Oxford Street und die Regent Street relativ schnell. Ich liebe es, die ganze Oxford Street raufzuspazieren bis zum Oxford Circus und dann die Regent Street runter bis zum Piccadilly Circus. Denn ich bin ein «Window Shopper», vor allem um die Weihnachtszeit sind die Schaufenster in London kleine Kunstwerke.
Die Zeit der Träume und Märchen
Natürlich gehe ich gerne rein in die Geschäfte, vor allem in den Laden Liberty London. Und da überkommt mich schon manchmal ein bisschen der Wunsch, den ich sonst nicht oft habe, reich zu sein. Denn London ist auch ein bisschen die Stadt des Mädchens mit den Schwefelhölzer. Die ganze Pracht, der enorme Luxus und das fantastische Angebot an wunderschönen Dingen kosten viel und sind für einen grossen Teil der Gesellschaft nur in klitzekleinen Portionen erreichbar und für einen noch viel grösseren überhaupt nicht. Die Gentrifizierung hat in London schon lange stattgefunden, und die meisten Quartiere werden nur noch von wohlhabenden Menschen bewohnt – das sind immer weniger die Londoner selbst.
Doch Weihnachten ist die Zeit der Träume und der Märchen – und dazu gehört Fortnum and Mason. Ist man die Regent Street runterspaziert, biegt man beim Piccadilly Circus ab zum Piccadilly. Und dort steht es, das Traditionshaus des Tees und der echten britischen Leckereien. Es wurde im 18. Jahrhundert von einem Diener der damaligen Königin Anne gegründet. Seine lange Geschichte erzählt das Kaufhaus schön illustriert selbst. Fortnum and Mason gehört ganz einfach zur Weihnachtserfahrung in London. Die Schaufenster sind bewegliche Märchen, und die Tees, Biscuits und anderen Leckereien sind fein und wunderschön verpackt.
Neben Fortnum and Mason befindet sich ein anderer schöner, alter Buchladen, Hatchards. Er ist der älteste, die Königin selbst ist Kundin hier, und man findet im grossen, mehrstöckigen Geschäft auch alles, was mit der englischen Geschichte, Kultur und Tradition verbunden ist. Viele Bücher sind ebenfalls von den Autoren signiert. Zwischen Piccadilly und der Regent Street gibt es einige zauberhafte Arkadengänge. Der schönste ist bestimmt die Burlington Arcade.
An der Oxford Street ist das Kaufhaus Selfridges, so etwas wie der Buckingham Palace der Shops. Seine Schaufenster sind Trendbarometer. Dieses Jahr schaut man, gewiss nicht ohne Befürchtungen, der Zukunft entgegen. Dabei stellen sich die Dekorationskünstler moderne Cinderellas vor, die in Marie-Antoinette-artigen, himmelblauen Rokokokleidern die Welt erobern, und Weihnachtsgeschenke, die ganz automatisch ins Haus reisen.
So passt denn die Ausstellung im Design Museum perfekt. Sie heisst «Moving to Mars» und zeigt alle möglichen Designideen für das Leben auf dem Roten Planeten, von früher bis in die Gegenwart.
Ein Laden, der bestimmt den Stil und das Mobiliar für solche Zukunftsbehausungen auf dem Mars besitzt, wie auf dem linken Bild aus der Ausstellung im Design Museum, ist The Conran Shop. Seine Interpretation von Weihnachten und dem Wohnbereich ist nämlich seit seiner Gründung in der 90er-Jahren immer modern und zukunftsweisend – auch wenn das beste Design dafür oft die Klassiker aus dem 20. Jahrhundert bleiben.
Der Piccadilly Circus sieht auch sehr futuristisch aus oder ist besser gesagt in der Gegenwart angekommen. Bei aller Liebe zu Traditionen zeigen sich viele typische London-Lieblinge in zeitgemässem Design. Die doppelstöckigen Busse etwa haben Streamlineform, und die runden, «kuschligen» London Cabs sind nun eher Minibusse. Ihre Fahrer wohnen ja auch schon lange nicht mehr im Eastend, denn dieses ist voll von Hipsterhotels und Kunstgalerien, sondern immer weiter ausserhalb Londons, wo sie sich noch ein Häuschen für ihre Familien leisten können.
Beenden wir diese kleine Weihnachtsreise durch London mit Cakes & Bubbles! Die Kombination von Kuchen und Champagner oder Schaumwein ist doch perfekt für die Weihnachtszeit.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine wunderschöne, gemütliche, glamouröse, fröhliche und vor allem glückliche Weihnachtszeit. Sweet Home kommt wieder am Freitag mit Rezepten für Häppchen und Cocktails und am Sonntag mit einer wunderschönen neuen, winterlichen Homestory!
Der Beitrag Frohe Weihnachten aus London erschien zuerst auf Sweet Home.